Sein Name hat Weltruf: Prof. Dr. Hermann Reichenspurner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Herz- und Gefäßchirurgie, Ärztlicher Leiter des Herzzentrums am UKE in Hamburg. Viele kommen von weither, um ihr Herz in seine Hände zu legen. Andere werden mit Blaulicht und tatüü-tataa aufs Gelände des UKE in Hamburg Eppendorf gefahren und hatten das Glück, – wenn man das so sagen kann, – dass ihr Lebensmotor wenigstens in der Nähe eines der renommiertesten Zentren ins Stocken geriet… und nicht irgendwo weit weg.
Wir bemerken die Arbeit nicht, die unser Herz täglich für uns leistet: die 100.000 Schläge, die 5 Liter Blut, die in jeder Minute durch ein komplexes System von Haupt- und Nebenstraßen durch unseren Körper gepumpt wird. Bis es versagt, bis der Fluss an irgendeiner Stelle und meist im Herzen selbst zusammenbricht.
Vordergründig betrachtet besteht das Herz aus aus zwei Hälften, die durch die Herzscheidewand getrennt sind, das sogenannte Septum. Jede Hälfte wiederum unterteilt sich in Vorhof (Atrium) und Herzkammer (Ventrikel). Sie sind jeweils durch die Herzklappen verbunden. In der Lunge wird das Blut mit Sauerstoff aufgeladen, in den Körper gepumpt, sauerstoffarm zurückgeleitet, wieder in Umlauf geschickt. Rein, raus.
Hintergründig betrachtet ist die Geschichte des Herzens erheblich komplizierter. Liebe, Hass, Zorn und Glück, Frustration, Angst, Trauer: der Rhythmus, in dem es schlägt, ändert sich mit jedem Gefühl. Fleisch, Fisch, Salat, Gemüse: Sie gehen nicht nur durch den Magen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes auch durch das Herz. Und ob ein Arzt seinen Patienten ernst nimmt, wertschätzt oder links liegen lässt: Auf dem EKG könnte man es ablesen, so wie es auch den sogannten "Weißkittel-Blutdruck" gibt, wenn der Doktor mit dem Messgerät um die Ecke biegt. Willkommen in der Geheimkammer des Lebens.
Etwa 400 Herzen hat Hermann Reichenspurner in seinem Chirurgen-Leben schon transplantiert, mehr als 5000 Menschen hat er am offenen Herzen operiert. Männer, Frauen und Kinder vertrauen ihm ihr Herz zur Reparatur an. „Ist das Herz das wichtigste Organ?“ frage ich ihn. Seine Antwort: „Ehrlich? Ich denke, das Hirn ist das wichtigste Organ. Aber das Herz hat natürlich eine ganz wesentliche Funktion. Es ist der Motor unseres Lebens, ist viel mehr als ein Muskel mit einer Pumpfunktion. Das Herz ist ein hochkomplexes Organ, gesteuert durch Hormone und Nervenfasern – unsere Lebensader.“
Sprech-Stunde bei einem Arzt, der von der Isar an die Elbe gekommen ist und hier im Jahr 2005 etwas Beeindruckendes geschaffen hat: das Miteinander von Herz- und Gefäßchirurgen im Schulterschluss mit Kardiologen – als Anlaufstelle für alle Menschen mit Herzbeschwerden. Fast 30.000 ambulante und 10.000 stationäre Patienten profitieren seitdem von der Kunst der Mediziner, die rund um die Uhr für sie im Einsatz sind.
"Warum sind Sie Arzt geworden, Professor Reichenspurner? Gab es so etwas wie ein Schlüsselerlebnis? Oder sind Sie familiär
vorbelastet?"
"Nein", wehrt er Letzteres ab. Mit Genen hat das nichts zu tun. Der Mann aus dem Münchner Stadtteil Berg am Laim, der es bis an die Spitze der Herzchirurgie geschafft hat, schüttelt den Kopf. Seine
Eltern betrieben eine Drogerie und Parfümerie. Das kann's also nicht gewesen sein.
WIE ALLES BEGANN
Ein Schlüsselerlebnis jedoch gab es dennoch! Acht Jahre war der kleine Hermann 1967 alt, als er am 3. Dezember auf flackernden Schwarz-Weiß-Bildern im Fernsehen sah, dass ein Professor namens Christiaan Barnard im südafrikanischen Kapstadt ein Herz verpflanzte! Eine Medizin-Sensation am Groote-Schuur-Krankenhaus, die um die Welt ging. Genau in diesem Moment reifte bei dem bayerischen Jungen der Entschluss, eines Tages Arzt zu werden. Der Empfänger, Louis Washkansky, überlebte den Eingriff nur 18 Tage lang. Doch sein Leben wurde in diesem Augenblick für immer mit dem von Prof. Reichenspurner verbunden.
Nie im Traum hätte der sich damals vorstellen können, was 20 Jahre später geschehen sollte: „Am 4. Dezember 1987 – also fast auf den Tag genau 20 Jahre nach Barnards erster Transplantation – habe ich mein erstes Herz im Groote-Schuur-Krankenhaus transplantiert.“ Von diesem Punkt aus entwickelt sich eine Herzmedizin der Superlative: Vor zehn Jahren war Reichenspurner in Hamburg mit seinem Team der erste, der eine kombinierte Herz-Lungen-Transplantation realisierte. Ein Jahr danach pflanzte er einem anderen Patienten als erster ein komplettes Kunstherzsystem ein.
Das TV-Erlebnis der bahnbrechenden Operation von 1967 war nicht der einzige Schub, der Reichenspurner in Richtung Herzchirurgie katapultierte. Auch wesentlich leisere Töne spielten eine Rolle. Als er als Jugendlicher für eine kleine Operation ins Krankenhaus musste, war er von der Welt in Weiß so fasziniert, dass er sofort nach einem Praktikum fragte. Für ihn stand fest: Nach dem Abitur würde er Medizin studieren! Die Entscheidung für die Herzchirurgie schließlich fiel letztendlich durch seine Doktorarbeit. Er schmunzelt: „Man hatte mir zwei chirurgische Themen vorgeschlagen: Nieren- oder Herztransplantation. Bei der Niere hätte ich zwei Wochen warten müssen... beim Herzen gab es gleich am nächsten Tag eine Operation. So kam ich ans Herz – und blieb dabei." Was einen flüchtigen Blick auf seinen Geduldsfaden gewährt, wenn ihn die Leidenschaft packt.
"Das, was ich mache", sagt der Professor, "ist sehr erfüllend. Ich bin glücklich über jeden Therapieerfolg." Was bedeutet das für ihn genau: ein Therapieerfolg? „Wenn es den Menschen nach der Behandlung besser geht. Wenn ihnen die OP geholfen hat. Wenn sie wieder Freude am Leben haben. Bedenken Sie: Viele Patienten kommen mit Schmerzen, mit Luftnot in der Brust, mit Ängsten zu uns. Wenn sie dann die Klinik verlassen und neue Kraft für einen weiteren Lebensabschnitt haben… das ist etwas sehr Großes.“
Er deutet in eine Ecke seines Büros. „Dort sehen Sie edle Weine, Champagnerflaschen, Postkarten aus aller Welt. Auf jede erdenkliche Weise zeigen die Menschen ihre Dankbarkeit. Aber wie gesagt: Am schönsten ist es für mich, wenn sich die Patienten mit einem kräftigen Händedruck von mir verabschieden und damit signalisieren: Ich lebe, ich schaue nach vorn.“
Die Bandbreite, die im Herzzentrum an High-Tech-Medizin auf allerhöchstem Niveau angeboten wird, ist beträchtlich. Einige Schwerpunkte, für die Patienten dort Hilfe suchen:
Doch das ist nur die eine Seite des Behandlungserfolges. Die andere Seite ist
Menschlichkeit – eine Kompetenz, die den guten Mediziner vom guten Arzt und für den Patienten die Spreu vom Weizen trennt.
Reichenspurners Credo: "Bei uns werden keine Patienten behandelt – bei uns werden Menschen behandelt. Diesen Anspruch an uns selbst haben wir, und
die Leute, die sich in unsere Hände begeben, sollen das spüren."
Was bedeutet Menschlichkeit genau? Wie zeigen Sie das den kranken Menschen? "Wir wissen heute", sagt er,
"dass die Menschlichkeit bei der Genesung eine wichtige Rolle spielt. In amerikanischen Kliniken beispielsweise gibt es spezielle Räume für Angehörige, in denen sie warten können und in Ruhe mit dem
Arzt reden. Das haben wir übernommen und damit gute Erfahrungen gemacht."
DIE INNERE HALTUNG FÜHRT ZUR HANDLUNG
Ihm ist sehr bewusst, dass Patienten, die in sein Herzzentrum kommen, nicht nur körperlich geschwächt sind, sondern sich auch seelisch in einem Ausnahemzustand befinden. Ein Bewusstsein, das jeden Tag aufs Neue eine bestimmte innere Haltung Patienten gegenüber erfordert. "Da ist höchste Sensibilität von uns gefragt", so der Chirurg. "Das bedeutet unter anderem: Wir stellen uns grundsätzlich nicht neben den sitzenden oder liegenden Patienten, damit er nicht das Gefühl bekommt, wir stünden über ihm. Wir setzen uns neben ihn, entweder auf einen Stuhl oder aufs Bett. So sind wir auf Augenhöhe mit ihm, und es kommt gar nicht erst der Verdacht auf, wir könnten ihn von oben herab behandeln."
Wann werden Angehörige nach einem Eingriff informiert?
Professor Reichenspurner: "Sobald der Patient nach dem erfolgreichen Eingriff auf die Intensivstation gekommen ist, kümmern wir uns um die Angehörigen. Entweder wir gehen zu ihnen in das Angehörigen-Zimmer, oder wir rufen bei ihnen zu Hause an. Wir wollen, dass die Wartezeit, die Zeit der Angst, so kurz wie möglich ist. "
Er hat gute Erfahrungen mit dieser Vorgehensweise gemacht. "Es ist doch ein Alptraum für Angehörige, wenn sie zu Hause sitzen, unruhig und ängstlich sind, irgendwann ungeduldig zum Telefon greifen und dann irgendwo in die Warteschleife geraten oder von Menschen vertröstet werden, die eigentlich gar nichts zu sagen haben."
Gibt es besonders schwierige Gespräche? "Ja, natürlich", nickt er, "es ist immer bitter für uns, wenn der Eingriff nicht gelungen ist..."
WAS BRAUCHT EIN GUTER ARZT?
Gibt es einen Unterschied in der Konzentration, ob Sie ein Kind oder einen älteren Patienten am Herzen operieren? frage ich ihn.
Er überlegt einen Augenblick: "Also, wenn ich am OP-Tisch stehe und operiere, macht es keinen großen Unterschied. Letztendlich ist ein Eingriff eine handwerkliche Tätigkeit, die man bei dem einen so sorgfältig macht wie bei dem anderen. Allerdings kann es sein, dass in der letzten Hirnzelle im Hinterkopf das Verantwortungsgefühl für ein Kind schon größer ist als für den älteren Menschen. Schließlich… der eine hat den größten Teil des Lebens hinter sich – der andere hat sein Leben noch vor sich. Gott sei Dank ist es so, dass die allermeisten Menschen, die sich uns anvertrauen, überleben!"
Welches sind aus seiner Sicht die drei wichtigsten Qualitäten eines Arztes? „Enthusiasmus, Hingabe, Perfektion. Das erwarte ich. Und ich registriere es auch. Ich sehe sehr genau, ob die Ärzte, die eigentlich erst am Nachmittag Dienst haben, schon am Vormittag da sind.“
Ein heikles Thema: Organspende, gerade wieder brandaktuell. Wie sieht er das an einem Ort, wo Menschen so unmittelbar von den Konsequenzen betroffen sind?
Einerseits macht es den Herzchirurgen traurig zu sehen, dass nach den jüngsten Skandalen bei der Zuteilung der Spenderorgane die Spendenbereitschaft zurückgeht, "… wenn man doch weiß, wie viele Menschen Organe dringend brauchen, um zu überleben!" Andererseits spornt es ihn an, die Forschung intensivst voranzutreiben, damit so schnell wie möglich Kunstherzsysteme das Spenderorgan überflüssig machen. "Wir haben jetzt schon ziemlich gute Pumpen", sagt Reichenspurner. "Sie können das Leben um fünf bis acht Jahre verlängern und verbessern. Ich bin optimistisch, dass wir in wenigen Jahren Systeme einpflanzen können, die noch bessere Lebensqualität und Unabhängigkeit von Schläuchen und Kabeln ermöglichen.“
Apropos Fortschritt:
Was hat sich überhaupt getan in der Chirurgie? Wie hat sie sich weiterentwickelt im Laufe der Jahrzehnte?
Er nennt den Namen Theodor Billroths, der als Begründer der modernen OP-Techniken zu den bedeutendsten Chirurgen des 19. Jahrhundert gehörte. Er gilt als
Schöpfer der Magen-Darm-Chirurgie. Er verbesserte bereits bestehende OP-Methoden und entwickelte völlig neue. Dazu gehören die vollständige Öffnung des Kehlkopfes, die Operation der Speiseröhre bei
Krebs, bei Zungenkrebs und Schilddrüsenerkrankungen, die Operation an der Leber, der Milz und Harnblase sowie die vaginale Entfernung des Uterus. "Er war wirklich ein bedeutender Chirurg", sagt
Reichenspurner voller Respekt, "er hat allerdings auch gesagt: Die Operation am Herzen ist eine Todsünde...“ Pause. "Wie gut", fügt er hinzu, "dass Billroth sich in diesem Fall getäuscht
hat..."
SCHONGANG DURCH IMMER KLEINERE SCHNITTE
Als in den fünfziger Jahren die neue Ära der Chirurgie Fahrt aufnahm, wurde 1955 auch die erste deutsche Herz-Lungen-Maschine entwickelt. "Aber sie war natürlich noch riesengroß und weit entfernt von perfekt", erzählt Reichenspurner. "Deshalb haben die Chirurgen damals bei Kinderoperationen, bei denen der Herz-Kreislauf umgeleitet werden musste, die Mütter in den OP geholt, über die dann der Kreislauf aufrechterhalten wurde."
In den Achtzigern entwickelten sich die Herztransplantationen langsam aber sicher zu Routineoperationen. "Und heute", so Professor Reichenspurner, "sind wir soweit, dass wir Herzklappen über die Leiste einsetzen können, ohne den Brustkorb zu öffnen. Selbst Bypässe können ohne Herz-Lungen-Maschine gelegt werden, endoskopisch ohne Brusteröffnung." Quantensprünge des Fortschritts.
Die moderne Chirurgie kann Lebensqualitäten verbessern, Leben verlängern, Herzen ersetzen. Aber was muss oder kann jeder einzelne tun, damit er reinen
Gewissens und im Idealfall einen großen Bogen um eine Herzklinik machen kann? Gibt es Patentrezepte, Überlebensformeln? "Keine Patentrezepte natürlich… leider", schüttelt er den Kopf. "Aber schon
wichtige Erkenntnisse." Was tut er selbst fürs Herz? "Ich mache, was ich machen kann", sagt Reichenspurner. "Ich lebe voller Leidenschaft. Mein Beruf ist meine Leidenschaft, die Oper und das Ballett
sind meine Leidenschaft. Und ich treibe Sport. Entweder laufe ich drei-viermal die gut sieben Kilometer um die Alster, oder ich strample auf meinem Hometrainer." Ergebnis: Idealgewicht hat – 78 Kilo bei 1,85 Meter.
Aber reicht das aus? Was
ist das Schlimmste, was wir aus seiner Sicht unserem Herz antun können? Da hat der Herzchirurg keinen Zweifel: "Das schlimmste für das Herz ist
negativer Stress! Wer frustriert ist, der kriegt schnell Herzprobleme. Deswegen sage ich auch immer wieder den Menschen, die zu uns kommen: Überdenken Sie Ihr Leben! Treffen Sie Entscheidungen, die
Ihnen gut tun!"
Wo wird der größte negative Stress verursacht – in einer schlechten, herzlosen Ehe beispielsweise? "Ja,
natürlich auch", bestätigt er. "Aber ich sehe die Hauptursache für negativen Stress am Arbeitsplatz. Wenn man dort, wo man den Hauptteil seiner Lebenszeit verbringt, sich nicht wohl fühlt... das ist
eine enorme Belastung für das Herz. Ein regelrechter Alptraum." Einer, vor dem Hermann Reichenspurner
rechtzeitig Reißaus genommen hat.