Integrative Medizin

Wie soll man erklären, was in der Seele eines Patienten vor sich geht, der Arm, Hand, Bein oder Fuß verliert? Wir haben Kontakt aufgenommen zum DIPT – dem Deutschen Institut für Psychotraumatologie e.V..

Unsere Fragen an die Experten: Was ist Psychotraumatologie? In welchen Situationen wird ihr Eingreifen nötig? Wie hilft man einem Menschen, der einen so schweren Unfall erleidet?

Zunächst: Psychotraumatologen kommen zum Einsatz bei extrem erschütternden Ereignissen und Erlebnissen, wie wir sie jüngst zum Beispiel bei dem vorsätzlichen Absturz des Germanwings-Fluges, bei 9/11, beim Tsunami in Thailand erlebt haben. Aber auch, wenn Gewalt und/oder Missbrauch in der Familie stattfinden. Wenn ein Mensch an Krebs erkrankt oder durch einen Unfall einen Körperteil verliert. 

Das DIPT ist eine der ersten wissenschaftlich-therapeutischen Einrichtungen Deutschlands, die sich programmatisch der Erforschung, Psychotherapie und Prävention psychotraumatischer Störungen gewidmet hat. Durch ihre kontinuierliche Arbeit konnte im Laufe der Zeit sowohl die Fachwelt als auch die Öffentlichkeit für Psychotraumatologie sensibilisiert werden.

In enger Kooperation mit dem Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Gottfried Fischer (1944 – 2013), wurde im Jahr 1995 im Rahmen des Kölner Opferhilfemodell-Projekts (KOM) die psychologische Beratungsstelle für Gewalt- und Unfallopfer ins Leben gerufen und seither systematisch ausgebaut.

 

Hier die wichtigsten Antworten der Experten des DIPT:

 

Was ist Psychotraumatologie?

Psychotraumatologie ist eine wissenschaflliche Disziplin, die sich mit den Folgen und Behandlungsmöglichkeiten eines psychischen Traumas befasst. Besonders gravierende, erschütternde Ereignisse lösen häufig Reaktionen wie aufwühlende Erinnerungen, Schlafstörungen oder erhöhte Reizbarkeit aus. Wenn diese längere Zeit überdauern, kann dem eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zugrunde liegen. Die Psychotraumatologie erforscht, wann es zu dieser Störung kommt, wie man schon frühzeitig erkennen kann, wer gefährdet ist und wie effektive Hilfe sowohl bei akut als auch chronisch traumatisierten Betroffenen gewährleistet werden kann.

 

Wie äußert sich ein psychisches Trauma?

Viele Betroffene stellen bei sich, oft zum ersten mal in ihrem Leben, ganz ungewöhnliche Erlebnisweisen fest, wie schwere Verwirrtheit oder automatisch wiederkehrende Erinnerungsbilder und bekommen Angst, "verrückt zu werden". In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine ganz normale Reaktion auf die oft vollkommen im wahrsten Sinne des Wortes "ver-rückte" und unnormale Situation, die sie erlebt haben.

Ähnlich wie der Körper, besitzt auch die Seele starke Kräfte zur Selbstheilung. Diese können gezielt unterstützt werden, wenn sich Betroffene mit dem natürlichen Traumaverlauf vertraut machen. 

 

Der Traumaverlauf vollzieht sich in 3 Phasen:  

  • SCHOCKPHASE
    Verwirrtheit, Unfähigkeit, sich an wichtige Daten zu erinnern, z. B. an die eigene Telefon- oder Hausnummer – dies sind Merkmale der Schockphase, die von einer Stunde bis hin zu einer Woche dauern kann. Im akuten Schockzustand ist die Hautfarbe bleich, die Atmung schnell und flach, die Betroffenen haben einen benommenen Blick, manchmal glauben sie, sich an einem anderen Ort zu befinden. Hier sind Maßnahmen zur Beruhigung und Kreislaufstabilisierung angezeigt. Generell gilt: medizinisch notwendige Maßnahmen haben Vorrang vor der psychologischen Ersten Hilfe. Normalerweise besteht hier jedoch ein Ergänzungsverhältnis.
  • EINWIRKUNGSPHASE
    Daran schließt sich die Einwirkungsphase des Traumas an. Sie kann bis zu zwei Wochen anhalten. Jetzt ist die stärkste Erregung zwar abgeklungen, die Betroffenen sind jedoch von den Ereignissen innerlich völlig in Anspruch genommen. Immer wieder müssen sie, wie unter Zwang, von den Vorfällen berichten. Starke Selbstzweifel treten auf, häufig auch Depressionen sowie Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht. Auch bei Menschen, die zuvor eher optimistisch waren, erscheinen alle positiven Möglichkeiten des Lebens wie in weiter Ferne. Stattdessen klagen sich viele an wegen eigener Fehler. Im Wechsel damit können Wutanfälle und heftige Anklagen gegen mögliche Verursacher auftreten, seien diese Klagen nun berechtigt oder nicht. Oft treten in dieser Zeit Einschlafstörungen auf, Übererregbarkeit, Überwachheit, erhöhte Schreckhaftigkeit, Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Alpträume und Nachhallerinnerungen vom traumatischen Ereignis. Wenn Todesfälle, insbesondere in der eigenen Familie, zu beklagen sind, erleben manche Überlebende eine schwere Depression und machen sich Vorwürfe, überlebt zu haben (sog. „Überlebensschuld").
  • ERHOLUNGSPHASE
    Nach 14 Tagen, manchmal erst nach vier Wochen beginnen sich einige Betroffene vom Trauma zu erholen. Kommen weitere erschreckende Nachrichten oder belastende Lebensumstände hinzu, so verzögert sich die Erholungsphase und kann sogar gänzlich ausbleiben.
    Im besten Fall sinkt jetzt jedoch die Dauererregung ab. Nicht jeder Gedanke an das traumatische Geschehen löst wieder den vollen Schrecken aus. Das Interesse am normalen Leben, an anderen Personen kehrt wieder. Die Zukunftspläne werden positiver gesehen. Noch immer ist das traumatische Ereignis von zentraler Bedeutung. Es kann noch lange dauern, bis unsere Sicht der Welt und unser Verständnis von uns selbst so umgearbeitet sind, dass die traumatischen Vorfälle darin einbezogen werden können. Für viele bildet das Trauma einen Anlass, über das bisherige Leben gründlich nachzudenken und ihre Zukunftsplanung zu überdenken. Aber für all diese Schritte müssen Energien frei sein. Sie werden nicht mehr von den traumatischen Vorfällen aufgesogen, wenn sich die Erholungsphase ankündigt.

 

Was kann man tun, wenn die Erholungsphase ausbleibt?

Nicht wenige Betroffene erholen sich nicht so rasch von der traumatischen Belastung. Das kann daran liegen, dass sie besonders schwerwiegende körperliche und/oder seelische Verletzungen erlitten haben. Ein genauer Zeitplan für Heilung lässt sich bei seelischen Verletzungen ebenso wenig festlegen wie bei einer körperlichen Verwundung.

Wie Sie am besten schrittweise vorgehen, erklärt das DIPT  auf seiner HomepageIn dem Selbsthilfe-Ratgeber Neue Wege aus dem Trauma finden Sie eine Vielzahl von Übungen, die Sie für Ihre Traumabewältigung nutzen können. Sie wirken am besten, wenn jeder sich die Übungen aussucht, die an seine persönliche Form der Traumaverarbeitung anknüpfen und persönlich zu ihm passen. 

 

Informationen zu weiteren traumatischen Situationen wie z. B. Missbrauch, Trauer oder Mobbing finden Sie hier.

Komplementäre Heilverfahren

Sowohl auf der körperlichen als auch auf der seelischen Ebene können komplementäre Therapieverfahren zur Heilung beitragen. In den ganzheitlichen Heilverfahren fließen beide Ansätze ineinander. Und die Patienten oder der Patient bekommt das, wonach er sich am meisten sehnt in dieser Krise: Zeit und dass jemand ihm zuhört, seine individuelle Situation sieht. An allererster Stelle steht an der Seite der Replantationschirurgie und der erstklassigen Prothetik

 

  • PHYSIOTHERAPIE: Sie trägt im buchstäblichen Sinne dazu bei, das durch den Gliederverlust verschobene Gleichgewicht wiederherzustellen. Auch wenn Ihre Hand, Ihre Finger, Ihr Fuß oder Ihr Bein gerettet werden konnten, ist der Einschnitt dennoch tief. Der Glaube an die Unversehrbarkeit Ihres Körpers ist durch einen so schweren Unfall in ihren Grundfesten erschüttert. Physiotherapie hilft nicht nur, Beweglichkeit, Balance und Funktionalität (wieder) zu erlangen. Sie sorgt gleichzeitig auch dafür, dass Sie sich besser spüren können – und wie Ihre Körperhaltung auch Ihr inneres Empfinden über sich selbst verändert. Physiotherapeuten sind in der Regel ganz besondere Menschen, die in ihrer Laufbahn viele Arten menschlichen Leides und Verlustes gesehen und unter ihren Händen gespürt haben. Ihre Erfahrung befähigt sie, sich direkt darauf zu beziehen.
  • HOMÖOPATHIE ist ebenfalls in vieler Hinsicht hilfreich. Einzelne Arzneien tragen zur besseren Heilung von Operationswunden bei: Arnica ist immer das erste Mittel der Wahl bei Verletzungen, Calendula als Globuli und auch als Umschlag ist die Arznei, durch die Risswunden besser heilen. Staphisagria ist erste Wahl bei Schnittverletzungen. Calcium carbonicum und Symphytum sind wichtige Mittel zur besseren Knochenheilung, letzteres ebenso wie Ruta wichtig für die Knochenhaut. Ruta ist außerdem ein wichtiges Mittel bei Sehnenverletzungen (Tennisarm, Karpaltunnel-Syndrom). Hypericum: eine der wichtigsten homöopathischen Arzneien bei Nerven- und Phantomschmerzen. Womit wir bei der Phytotherapie wären…
  • HEILPFLANZEN: Das bereits erwähnte Johanniskraut (Hypericum) ist in der Phytotherpie ein wichtiges Antidepressivum, das Sie eventuell im Angesicht dieser schwierigen Situation brauchen werden. Bei leichten bis mittelschweren Depressionen konnten viele Studien zeigen, dass es chemischen Antidepressiva gleichwertig ist, ohne die gefürchteten Nebenwirkungen zu erzeugen. Außerdem stehen viele wertvolle Pflanzen zur Verfügung, die die Wundheilung und Entwässerung unterstützen und hilfreich sein können, um Lymphödeme zu lindern oder weitgehend zu verhüten. Für einen besseren Schlaf und mehr innere Entspannung sorgen äthersiche Öle wie z. B. Löwenschlaf, das das limbische System (Flucht und Angriff) ansteuert und für Entspannung sorgt.
  • TCM: Last not least – die Traditionelle Chinesische Medizin, allem voran die Akupunktur. Die 3000 Jahre alte Gesundheitslehre geht davon aus, dass der Körper von Energiebahnen (Meridianen) durchzogen ist und dass die so genannten Funktionskreise in einem ständigen Austausch miteinander stehen. Aus Sicht der TCM geht es darum, das Gleichgewicht dieses Austausches aufrecht zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Die Zirkulation der Energie wird aufs Massivste gestört, wenn es zum Abriss eines Gliedes kommt. Durch Phantomschmerzen bezieht sich der Körper (und dr Energiekreislauf) auf einen Teil, der nicht mehr vorhanden ist. Ein erfahrener Akupunkteur kann Ihnen helfen, solche Schmerzen zu überwinden und die Folgen des Schocks und des Unfalls besser zu verkraften.

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