Prof. Dr. med. Karl Max Einhäupl

Das Wichtigste, was Sie wissen müssen, ist: Ein Patient, der einmal einen kleinen Schlaganfall gehabt hat, kann einen größeren bekommen. Sein Risiko beträgt jedes Jahr sechs bis sieben Prozent, also in fünf Jahren 30 bis 35 Prozent! Schlaganfall - in der Medizinersprache „stroke“ genannt - ist ein Infarkt im Gehirn und in Deutschland die dritthäufigste Todesursache. Ein Blutgerinnsel verstopft plötzlich ein Gefäß. Die Durchblutung wird unterbrochen. Das umliegende Gewebe in der Schaltzentrale unseres Lebens beginnt abzusterben. Wenn es nicht schnellstmöglich wieder durchblutet wird, ist der Schaden nach einer Stunde irreparabel. „Eine Zelle,“ sagt Professor Dr. Karlmax Einhäupl, einer der führenden Neurologieexperten in Deutschland und Vorstand an der Berliner Charité, „ist wie ein Hotelkomplex, in dem es unendlich viele Aufgaben zu erledigen gibt. In dem Moment, in dem die Antriebsstoffe Sauerstoff und Glukose zerfallen, ist der Hotelkomplex ohne Energie. In dieser Sekunde der Ischämie - das heißt, wenn die Durchblutung unterbrochen wird - ist die Energie der Zelle praktisch verbraucht. Sie hat keinen Speicher.“ Die Folge ist, dass keine elektrischen Reize mehr in den Körper geleitet werden. Er ist gelähmt. 

Das Fenster zum Leben

Wir streifen die sterilen, grünen Kittel über und begleiten den Professor auf die Intensivstation der Neurologie. Ärzte und Schwestern kämpfen hier nicht nur um das Leben der Patienten. Sondern auch um jeden winzigen Gewebsmillimeter der erkrankten Gehirne und damit um jedes Quäntchen Lebensqualität. Darum, dass der Schlaganfall-Patient von völliger Abhängigkeit in eine gewisse Selbstständigkeit zurückfindet. Dass ein Mensch wieder seinen Arm bewegen kann. Dass er sprechen kann. Gehen. Selbstständig atmen. „Wenn ein Mensch einen Herzinfarkt überlebt,“ sagt Einhäupl, der Spezialist für eines der größten menschlichen Geheimnisse - das Gehirn - „dann kann er im Normalfall nach Hause gehen und weiter leben wie bisher. Das ist beim Schlaganfall anders.“

 

ZIEL: SELBSTSTÄNDIGKEIT.

 

Wie sehr anders, das sehen wir bei der Visite. Da ist ein Mann, 49 Jahre jung, bei dem die Hauptschlagader des Hirnstamms vom Infarkt betroffen ist. Er sieht alles, hört alles, versteht alles. Aber die einzige Art, in der er Professor Einhäupl noch antworten kann, ist eine Wendung der Augen nach oben. Da ist eine Frau, die nach zehn Tagen Bewusstlosigkeit aus ihrem Urlaub in der Türkei nach Hause, hierher, geflogen wurde. Die Diagnose ist hochkompliziert: Hat sie mehrere kleine Schlaganfälle? Eine Entzündung des Gehirns durch Herpesviren? „Zeit,“ sagt Professor Einhäupl, „ ist bei einem Schlaganfall das Kostbarste. Es gibt das sogenannte Drei-Stunden-Fenster, innerhalb dessen der Patient unbedingt versorgt werden muss. Wir machen große Kampagnen, damit die Angehörigen richtig Dampf machen, wenn der Verdacht auf Schlaganfall besteht.“ 

Das „Wo“ ist der zweite entscheidende Faktor. Ob ein großes oder kleines Gefäß betroffen ist entscheidet mit darüber, in wieweit der Patient seinen Körper wieder ganz normal benutzen kann (50 Prozent der Patienten), ob er Behinderungen zurückbehält (25 %), - oder sterben muss.

Das „Warum“ ist die dritte entscheidende Säule, danach richtet sich die Behandlung. Fünf Wege führen zum Schlaganfall. 

> Bei der Arterienembolie ist das Gefäß innen aufgerauht. Auf ihm bilden sich Blutgerinnsel und schwimmen ins Gehirn.
> Bei der In-Vitus-Thrombose setzen sich schon an der rauhen Stelle Blutgerinnsel fest, oder ein Kalk-Plaque reißt ab. Die Flüssigkeit verstopft das Gefäß.
> Bei der kardialen Embolie schwimmen Blutgerinnsel vom Herzen zum Hirn. Patienten mit Vorhofflimmern, deren Herz ständig unregelmäßig schlägt, sind besonders gefährdet.
> Ein weiterer Grund kann ein verengtes Herzgefäß sein, so dass der Blutdruck abfällt und das Gehirn in den Gefäßen kein Blut und damit keinen Sauerstoff mehr bekommt.
> Manchmal sind auch die hintersten Enden winzigster Arterien von der Blutversorgung abgeschnitten. An unwichtigen Stellen merkt der Patient nichts davon. Aber an wichtigen Kontrollpunkten kann dieser stecknadelgroße Infarkt eine Katastrophe auslösen. 

 

BEWUSSTSEIN FÜR RISIKOFAKTOREN

 

Die Nr. 1: Bluthochdruck! Er ist der größte Risikofaktor, einen Schlaganfall zu erleiden.

Ebenso gefährlich ist das Vorhofflimmern, bei dem die Vorkammern des Herzens nicht richtig pumpen.

An zweiter Stelle folgt das Rauchen - das Risiko ist bis zu 30mal zu hoch wie bei Nichtrauchern!

An dritter Stelle folgen Stoffwechselerkrankungen wie ein erhöhter Cholesterinspiegel oder die Zuckerkrankheit.

Sie selbst entscheiden also maßgeblich mit darüber, ob Ihr „Zellenhotel“ reibungslos funktioniert.

Alarmzeichen

Gehen Sie bitte zum Arzt, wenn diese Alarmzeichen auftreten. Dann ist ein Schlaganfall oft noch zu verhindern.
Plötzliches Auftreten halbseitiger Störungen. Sie knicken ein, Dinge fallen Ihnen aus der Hand.

∞ Sie können nicht mehr sprechen oder die halbe Seite des Raumes nicht mehr sehen (Gesichtsfeldausfall).
Diese Symptome werden leicht übersehen: Sie sind schwindelig wie beim Karussellfahren, sehen Doppelbilder, haben Sprech-und Schluckstörungen, einen torkelnden Gang, Lähmungserscheinungen einer oder beider Körperseiten, Gefühlsstörungen mit schlagartiger Taubheit, die nach Minuten oder Stunden wieder verschwinden.

∞ All das kann das „Wetterleuchten“ eines Schlaganfalls sein. Eines der Symptome reicht, um einen Arzt zu verständigen.

 

 

Prof. Dr. med. Karl Max Einhäupl ist seit 2008 Vorstand der Berliner Charité und leitet damit ein Unternehmen mit 13.000 Angestellten. 

 

 

Fotos: Charité, fotolia.com

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