Hüfte gut, alles gut!

Dort, wo in Hamburg die Reeperbahn endet, wo aus der sündigsten Meile aller Kontinente wieder ganz normale Straßen werden, dort steht ein Haus, zu dem Menschen ebenfalls aus aller Welt anreisen – wenn auch aus ganz anderen Gründen. Denn hier erhebt sich unübersehbar die ENDO-Klinik, Europas größte Spezialklinik für Knochen-, Gelenk- und Wirbelsäulenchirurgie. 

Jährlich werden hier 6000 endoprothetische Eingriffe vorgenommen. "Sagen Sie an der Anmeldung Bescheid, wenn Sie da sind“, hatte mir PDr. Thorsten Gehrke, Ärztlicher Direktor der Klinik, am Telefon gesagt, als wir uns verabredeten. Nun holt er mich an der Rezeption ab.

Der Fahrstuhl trägt uns hinauf in sein Büro. Die nächsten beiden Stunden gehören der Hüfte! Denen, die sie einsetzen – und natürlich vor allem jenen, die durch diese Operation endlich Linderung für ihre Schmerzen erfahren. Sie zählt insgesamt zu den erleichterndsten überhaupt, was die Steigerung der Lebensqualität angeht. Vorausgesetzt, der Operateur weiß, was er tut. "Der Hüftgelenkersatz", bestätigt Dr. Gehrke, "ist eine der erfolgreichsten Operationen in der Chirurgie. Bis zu 98 Prozent aller Patienten sind danach von ihren Schmerzen befreit, und sie erhalten eine extrem hohe Mobilität. Das ist wirklich beeindruckend. Bedenken Sie: Viele Menschen, die sich uns anvertrauen, können im wahrsten Sinne des Wortes vor Schmerzen nicht mehr laufen, kaum noch schlafen. Sie schlucken mehr Medikamente, als Magen und Darm oft gut tun. Sie lassen sich spritzen in der Hoffnung, wenigstens zeitweise Linderung zu erleben. Sie leben irgendwann in einer Sackgasse der Verzweiflung!" 

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EIN NEUES LEBEN IN EINER KNAPPEN STUNDE

Die Schmerzen sind so brutal, dass vielen Patienten die Lust am Leben abhanden kommt. Ursache für  diese Pein ist in den meisten Fällen Hüftarthrose: ein fortschreitender und bisher unumkehrbarer Prozess. Genau deshalb ist eine Operation sehr häufig die letzte Möglichkeit, eine Beweglichkeit in der Hüfte zu erhalten. Ein einziger Eingriff, der bei routinierten Chirurgen kaum eine Stunde dauert, beschert diesen Menschen Beschwerdefreiheit. Ein neues Leben beginnt.  

Bei den Kniegelenken ist die chirurgische Erfolgsquote bisher nicht ganz so hoch. "Deshalb", sagt Dr. Gehrke und kann sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, "nennen wir die Hüfte die Mutter... und das Knie ist die Schwiegermutter." 

Benutzt werden bei einer Hüftprothese muskel- und knochenschonende Implantate. "Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Materialien", erklärt der Experte. "Zum einen Titan für die zementfreie Endoprothetik, zum anderen eine Edelstahllegierung aus Kobalt-Chrom-Mangan für zementierte Implantate. Wir sind aber auch in der Lage, bei vorhandenen Allergien gegen diese Stoffe andere Materialien einzusetzen. Zudem verwenden wir nach wie vor die sogenannten Gleitpaarungen aus Keramik und Polyethylen." 

Die Patienten können selbst entscheiden, ob sie den Eingriff unter Vollnarkose oder unter einer sogenannten Regionalnarkose, die als weniger belastend gilt, erleben wollen. Etwa 200.000 Hüften werden jedes Jahr in Deutschland implantiert – mindestens 400 davon implantiert der Chirurg selbst. 

Wer ist dieser Mann, der noch vor 20 Jahren, wie er selbst sagt, "als kleiner Assistenzarzt" in der ENDO-Klinik gearbeitet hat – und der seit 2005 als Ärztlicher Direktor die Gegenwart und Zukunft des renommierten Hauses gestaltet? Warum ist er überhaupt Arzt geworden? "Ich hab schon als junger Mann ein Herz für andere gehabt", ist seine einfache Erklärung. Will sagen: Der junge Gehrke engagierte sich für bedrohte Völker; er half in der Behindertenarbeit, trainierte beim Handball Jugendmannschaften. Nach dem Abi verweigerte er den Wehrdienst und entschied sich stattdessen für den Zivildienst. "Statt Bundeswehr fuhr ich auf dem Rettungswagen. Das war faszinierend, diese Zeit hat mich geprägt. Und so entstand langsam aber sicher der Wunsch, Arzt zu werden." 

Kinderarzt stand ganz oben auf seiner Agenda. "Doch schon während des ärztlichen Praktikums war erkennbar, dass ich als Kinderarzt nicht in Frage kam." Warum das nicht?", haken wir nach. "Ganz einfach", sagt er, "weil ich Kindern keine Spritze geben konnte." 

Sportarzt schien eine Alternative zu sein, weil er selbst so leidenschaftlich Sport betrieb. "Doch am Ende habe ich mich für die Orthopädie entschieden." Ein Zweig der Medizin, bei dem das handwerkliche Geschick, das ihm von seiner Familie buchstäblich in die Wiege gelegt wurde, auf keinen Fall schaden konnte. "Von Anfang an war klar, dass ich mich nicht niederlassen, sondern ins operative Fach wollte, weil mich das Handwerk faszinierte. Und das, was ich heute mache, ist schließlich nichts anderes als Handwerk – wenngleich auf einem sehr hohen Niveau."

STEINREICH ODER BITTERARM: DER SCHMERZ IST DER GLEICHE

Wie virtuos Dr. Gehrke dieses Handwerk beherrscht, hat sich mittlerweile auf der ganzen Welt herumgesprochen. Viele Patienten haben lange – und oft auch qualvolle – Flüge hinter sich gebracht, bis sie schließlich bei ihm auf dem OP-Tisch lagen! Sie kommen aus Kuwait und den Emiraten, aus Moskau, Leningrad und aus Sibirien, aus Aiserbadschan oder aus nordafrikanischen Ländern. Oftmals fliegt der Chirurg auch in umgekehrter Richtung zu den Patienten. So hat er mittlerweile fast 300 Operationen im Ausland durchgeführt. 

In südamerikanischen Kliniken sind seine Live-Operationen, deren Bilder dann in andere Kliniken übertragen werden, begehrt und geschätzt. Kürzlich war er genau aus diesem Grunde für acht Tage in Kolumbien. 

Die Welt der (künstlichen) Hüften macht vor keinem Kontinent halt: "Ein indischer Minister ließ mich einfliegen, damit ich ihn behandle. Es macht mich natürlich stolz", gibt er zu, "wenn man mir dieses Vertrauen entgegenbringt. Aber es ist auch Stress, denn so ein Trip bedeutet: Langer Flug, einchecken im Hotel, ein paar Stunden schlafen, dann in die Klinik, um zu operieren – mit der Abendmaschine zurück nach Deutschland."

Wahrscheinlich können sich das doch nur die ganz Reichen in Indien, China, Australien leisten, von ihm behandelt zu werden, oder? "Oh nein", wehrt der Spezialist ab, "ich fliege auch regelmäßig nach Indien, um dort Gurus zu operieren. Sie genießen zwar hohes Ansehen – aber sie haben kein oder kaum Geld. Die müssen sich dann auch um die Kosten keine Gedanken machen." 

Gibt es auch ein Land, in dem Sie nicht operieren? fragen wir den Arzt. "Oh ja", nickt er und ist mitten in einem seiner Lieblingsthemen, "in Zentralafrika würde ich nicht operieren. Durch die extrem hohe Infektionsgefahr dort kann einfach nicht sichergestellt werden, dass der Eingriff letztendlich auch erfolgreich sein wird." Nicht zuletzt seine internationalen Erfahrungen haben mit dazu beigetragen, dass Infektions-Prophylaxe und der Umgang mit bereits vorhandenen Infektionen zum zentralen Thema für ihn geworden ist. Denn damit steht und fällt der Erfolg einer Operation. "In dem Bereich muss viel mehr geforscht werden. Das wird auch in Zukunft eines der wichtigsten Themen bleiben. Da ist noch jede Menge Forschungsspielraum."

Tabu für Gehrkes Skalpell sind auch die USA und Kanada. "Aus Versicherungsgründen sind ausländische Gast-Operateure hier nicht zugelassen. Schade eigentlich… aber das ist die Realität." 

 

DIE SACHE MIT DER SOZIALEN KOMPETENZ

Wer sich – wie wir es tun – in Deutschlands Chirurgenwelt ein wenig umhört, der bekommt, wenn der Name Gehrke fällt, immer zwei Kommentare. Der erste lautet: "Erstklassiger Operateur." Der zweite: "Ein Mensch... ein Arzt, der Vertrauen ausstrahlt." Wie wichtig ist ihm dieser Fundus an Vertrauen? "Extrem wichtig", sagt er und es klingt wie ein Ausrufungszeichen! "Es gibt zwar keine wissenschaftlichen Belege – aber dafür persönliche Erfahrungswerte. Und meine sind, dass ein Patient, der sich vertrauensvoll in die OP begibt, körperlich und seelisch schneller wieder gesund und mobil wird." 

Auf MEDIZIN FÜR MENSCHEN wollen wir wissen, wie er diese Erkenntnis faktisch in die Tat umsetzt. "Insbesondere das Erstgespräch", sagt er ohne einen Hauch von Zweifel, "die Diagnose und die Beratung bilden das Fundament für die weitere Behandlung. Hier, in dieser ersten Begegnung zwischen Arzt und Patient wird Vertrauen errungen und aufgebaut. Deswegen ist für mich dieser erste Kontakt auch das wichtigste Gespräch, der prägendste Moment. Dafür nehme ich mir gern 30, oftmals auch 45 Minuten Zeit. Während der OP spürt der Patient mich ja nicht. Nach der OP ist der Kontakt auch zeitlich ziemlich limitiert. Das Vertrauen schafft man also im ersten Kontakt." Aber reicht es, wenn der Patient nur zu Ihnen Vertrauen hat? haken wir nach. Gehrke schüttelt energisch den Kopf. "Natürlich nicht! Es muss für den Patienten ein Gesamtwohlfühl-Paket geschaffen werden. Und das bedeutet: Die Atmosphäre in der ganzen Klinik muss stimmen. Ärzte, Schwestern und Pfleger müssen alle nur das Wohl des Patienten im Auge haben. Und genau das muss der Patient spüren!" 

 

Woran erkennt er diese Fähigkeit bei anderen? "Wir stellen nur einen Arzt ein, von dem wir sicher sind, dass er empathiefähig ist. Und wenn sich nach kurzer Zeit herausstellen sollte, dass er doch nur mit dem Skalpell, nicht aber mit dem Herzen umgehen kann, werden wir uns von ihm wieder trennen. Und zwar sehr schnell! Wir wollen einfach die besten Ärzte und Menschen mit hoher sozialer Kompetenz. Nichts anderes haben die Patienten verdient. Und wer sich als Patient hier bei uns gut aufgehoben gefühlt hat, der wird das auch weitererzählen. Nennen Sie es ruhig Mund-zu-Mund-Propaganda... aber genau die ist ja für jede Klinik die beste Propaganda. Und vor allem die ehrlichste!" 

Unser Gespräch neigt sich dem Ende zu. Gemeinsam fahren wir abschließend hinauf in den 10. Stock – in die Reha-Abteilung mit einem der atemberaubendsten Blicke über Hamburg. Am Tag nach der OP lernen Patienten hier buchstäblich wieder das Laufen. Und die ganze Welt, die ihnen oft für so lange Zeit verschlossen war, scheint ihnen dabei nun buchstäblich zu Füßen zu liegen: der Michel, die Elbphilharmonie, die Tanzenden Türme oder der Hafen. Ohne Stock, ohne Gehwagen, und auch ohne Schmerzen entdecken sie ihre neue Beweglichkeit.  

Strampelt der Chirurg hier auch manchmal auf einem der Fahrräder, um die Kondition fit und Gelenke geschmeidig zu halten? "Schon", lacht der Mann mit dem 14-Stunden-Tag, "es gibt in der ganzen Stadt keinen besseren Reha-Ort.“

Doch wirklich abschalten, das tut er dort, wo er nicht der Chefarzt ist, sondern Ehemann und Vater: mit seiner Frau, einer OP-Schwester aus Afghanistan und seinem vierjährigen Sohn. „Unser Wochenende beginnt am Freitagabend... dann geht‘s mit dem Auto an die Ostsee.“

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