Warum Steve Jobs seine Store-Manager im Ritz Carlton trainieren ließ
von Katrin Reichelt
SCHULMEDIZIN TRIFFT KOMPLEMENTÄRE HEILVERFAHREN TRIFFT MENSCHLICHE KOMPETENZ.
Die Kombination dieser drei ist aus unserer Erfahrung DER Schlüssel für das Krankenhaus von übermorgen. Sie ist die Medizin der Zukunft.
Menschliche Kompetenz: Das ist die Fähigkeit und die Bereitschaft, die Welt durch die Augen der oder des anderen zu betrachten. Sie wird in der Medizin dringend gebraucht. Egal, ob in der High Tech Medizin, in der Prävention, der Naturheilkunde oder in der mentalen Medizin: Wir brauchen neue Ansätze und sie müssen auf Empathie gegründet sein.
Ich bin nicht wie Du.
Politik und Krankenkassen haben ein Raster entwickelt, in dem meine Galle quasi Ihre Galle ist, in dem Ihr Herz nach Möglichkeit schlägt wie meins. Ein Budgetplan bestimmt, wie viele Medikamente wir
nehmen dürfen und welche, und wie viele Tage wir nach einer OP brauchen, um wieder auf die Füße zu kommen.
An der Außenlinie dieses George-Orwell-artigen Denkens laufen sich junge Entrepreneure warm, die sagen: Really? Eure Vision ist nicht unsere. Und jung heißt nicht zwangsläufig jung an Jahren,
sondern frisch und innovativ im Denken.
Steve Jobs hatte die geniale Gabe, seine Produkte von hinten nach vorne zu denken. Er begann immer am Ende: Er hatte eine genaue Vorstellung davon, wie sich seine Kunden mit seinem Produkt fühlen sollten. Er nannte das Customer Experience. Diese Kundenerfahrung war der Maßstab seines Denkens, von dem aus er sich dann zu den Details seiner Produkte nach vorne vorarbeitete.
Stellen Sie sich diesen Ansatz in Medizin, Heilkunde, Wissenschaft und Forschung vor – und Sie halten den Schlüssel zur Zukunft der Medizin in den Händen.
Jeder bei Apple war auf diese Vorgehensweise eingeschworen. Sie wurde allen zur zweiten Natur. Sie schuf eine nie gesehene Identifikation mit dem Unternehmen – nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Kunden. Sie schuf vor allem das Gefühl, dass alle gemeinsam an einem Strang ziehen und einem Ziel dienen, das größer ist als sie selbst.
Wenn Sie Jobs Art, rückwärts zu denken, auf eine Klinik, eine Praxis, ein Forschungsprojekt, ein Regenerationskonzept übertragen, dann stehen Sie bereits im Krankenhaus von übermorgen.
Es geht nicht länger darum, wer mehr Recht hat oder mehr Macht oder wer was verdient. Es geht um die AUSRICHTUNG AUF DAS
GEMEINSAME ZIEL: DIE PATIENT*INNEN.
Was soll das bewirken?
Zu Jobs Philosophie gehörte, dass JEDE(R) seine Produkte intuitiv verstand – egal, ob er oder sie nun 10 oder 80 Jahre alt war. Klare, kurze Botschaften. Leichtes Handling. Was gut funktioniert
lieber klauen, als es neu zu erfinden – daraus machte er nicht den geringsten Hehl.
Nichts sollte die Erfahrung trüben; nichts sollte kompliziert sein.
Kund*innen sollten sich einfach an die Hand genommen, sicher geführt und verstanden fühlen.
Er hat es mit seinen Stores geschafft, Probleme in ein positives Erlebnis zu verkehren. Sie sind damit zum weltweiten Goldstandard für Kundenerfahrung geworden. Jede(r) dort ist der Lösung
verpflichtet.
Wenn Sie für einen Moment die Augen schließen und diese Erfahrung auf eine menschliche Medizin übertragen...
… wenn Sie sich das vorstellen, dann bekommen Sie eine Ahnung davon, welch kompromissloser Teamgeist dahinter steckt – ein Teamgeist, der vollkommen auf den anderen ausgerichtet ist.
Und den erzeugt jeder Mensch, der sich dem Wohlbefinden oder gar der Heilung von Menschen verschrieben hat, nur über Identifikation – mit ihrer oder seiner Vision, mit einer Therapie, oder mit einem nie zuvor da gewesenen Produkt.
Die Harvard Biz Review hat das Wort ausgemacht, das Mitarbeiter*innen in einer wie auch immer gearteten Heilinstitution am meisten motiviert: GEMEINSAM.
Steve Jobs Vision war es, Menschen mit seiner iWelt derartig zu inspirieren, dass sie beim ersten Berühtungspunkt sofort ihr größtes eigenes menschliches Potenzial entfesseln wollten! Um wie
vieles mehr gilt das für Patient*innen, die nach innerer und äußerer Heilung suchen!
Den höchsten Technikstandard der Welt mit dem tiefen menschlichen
Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach Verstanden-Werden miteinander zu verknüpfen und dabei auch noch die fettesten aller schwarzen Zahlen zu schreiben: Das ist der geradezu paradoxe Spagat, der Apple
zum wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht hat.
Aber WIE?
Wenn Sie auf die Triade schauen – der höchste Technikstandard, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, schwarze Zahlen –, dann werden Sie auf Anhieb sehen, dass Zugehörigkeit der Hebel
ist.
In der Medizin besteht immer noch eine fast phobische Angst vor emotionaler Nähe. Lieber 10 technische Maßnahmen als einmal zuhören. Keine Zeit für Gefühlsduselei!
Wäre ich Gesundheitsministerin, würde ich eine Zuhörpflicht einführen, sie mit wirkungsvollen Fragetechniken bestücken – die durchaus auch virtuell sein können – und sie in der Abrechnung hoch
beziffern!
Im Krankenhaus von morgen und übermorgen würde Counselling einen der vorderen Plätze belegen. Es wäre Pflichtprogramm bei der Teambildung – allein schon deshalb, weil Menschen in Heilberufen in ihrer Arbeit so ungeheurem Druck ausgesetzt sind. Die besten Kliniken der Welt pflegen allesamt eine empathische Mitarbeiter*innenkultur.
In einer holländischen Brustkrebsklinik betreten Patientinnen nie wieder den Raum, in dem sie ihre Diagnose erfahren haben.
Jedes Zimmer trägt den Namen einer berühmten Frau, die im Foto abgebildet ist.
Strategien werden immer im bestmöglichen Team in einer Sprache besprochen, die die Patientin vollkommen versteht.
Das ist die Art von Empathie, die in der sehr nahen Zukunft gute von schlechten Institutionen trennen wird.
Die Notwendigkeit der Identifikation mit dem Unternehmen beginnt nicht erst im Krankenhaus von übermorgen, sondern idealer Weise schon heute im Gehirn jedes einzelnen, der eine bessere Prävention, eine erfolgreichere Therapie, eine vom Patientenende aus gedachte Medzin abliefern möchte.
Das Zugehörigkeitsgefühl aller Mitarbeiter zu ihrer Klinik ist die unsichtbare Leine, die alles zusammen hält – auch und an vorderster Front für PatientInnen.
Gibt es einen größeren Luxus als Gesundheit?
Und schon sind wir mitten in der Beantwortung der Frage, warum Steve Jobs seine Manager im Ritz Carlton trainieren ließ.
Er hatte einen kompromisslosen Qualitätsanspruch und trieb, was das angeht, alle mit seinem Perfektionismus auf die Palme. Er ging davon aus, dass nur Menschen mit der Fähigkeit zur Empathie auch die
besten Ergebnisse im Kund*innenkontakt abliefern konnten.
Im Zeitalter der Globalisierung sind wir in der Lage, in jedem Bereich von den Besten zu lernen. Die Ritz Carlton-Hotelgruppe vermittelte aus Jobs Sicht in Vollendung das Gefühl, dass immer jemand für Sie da ist – selbst, wenn Sie niemanden sehen. Alle wissen, was zu tun ist, um die Wünsche der Gäste möglichst noch vor den Gästen selbst zu erkennen und sie umgehend zu erfüllen. Genau das ist auch seine Philosophie.
Apple-Mitarbeiter*innen wiederum – und keineswegs nur die Chefetagen! – hatten durch diese Maßnahme das Gefühl, dass ihr Arbeitgeber in sie investiert; dass er alles zur Verfügung stellt, damit sie die Besten werden können.
Sie hatten die Chance, etwas Außergewöhnliches zu lernen und auch zu wagen, was außerhalb ihrer normalen Sphäre lag. Es machte sie stolz. Es schuf ein Gefühl von Wertschätzung und
Bindung.
Jobs traf nur wenige seiner Mitarbeiter und Kunden persönlich. Aber er hält virtuell bis heute allen die Hand.
Einfachheit ist das Allerschwerste. Diese Art von Präsenz zu entwickeln: Darum geht es auch in der Innovation der Medizin – für Sie, für jeden Patienten, für jede Patentin. Oder, wie Pater Anselm sagen würde: um Wertschöpfung durch Wertschätzung.
Der i-Patient hat den echten Patienten abgelöst, sagt Stanford-Immunologe Abraham Verghese. Diese Erkenntnis könnte man mühelos erweitern auf den i-Doctor, der in den USA nur noch 15 bis 17
%
seiner Zeit direkt mit seinen Patient*innen verbringt. Der Rest fällt unter Administration.
Oder die i-Schwester, die von Zimmer zu Zimmer rennt, allen die richtigen Medikamente verabreichen und sich dazu zuverlässig 100 x am Tag die Hände desinfizieren, Mails beantworten und die
Computerprogramme fehlerfrei mit den richtigen Patientendaten
füttern soll.
Dies ist die Schnittstelle, an der die Technologie nicht mehr dem Menschen, sondern der Mensch der Technologie dient. Die Dosis ist zum Gift geworden.
Alle in diesem Metier kamen ursprünglich, um eine heilende Welt zu schaffen.
Was sie stattdessen finden, ist Zeitnot. Dauerdruck. Die Patientin/der Patient als Nummer, enge Budgets, unrealistische Fallpauschalen, gnadenlose Überlastung, Nachtschichten, Burnout, Stress,
Nebenwirkungen, Kreuzwirkungen, Krankenhauskeime, chaotische Patientenakten.
80 Prozent der US-Ärzt*innen zweifeln inzwischen daran, dass sie den richtigen Beruf haben. Die Zahlen in Deutschland sehen vermutlich nicht viel besser aus. Und wenn Sie die Pflegedienste fragen,
grenzt es an ein Wunder, dass sie überhaupt noch zur Arbeit erscheinen.
Auf der Überholspur der Technologie ist in den letzten 40 Jahren die Empathie auf der Strecke geblieben. Nicht nur die für die Patienten, sondern für ALLE Beteiligten.
STOP! Was für eine ungeheure Verschwendung!
Einer der einflussreichsten Krankenhaus-Innovatoren, Peter Pronovost vom Johns Hopkins in den USA, nennt INTRINSISCHE MOTIVATION als den wichtigsten Faktor, der auch Apple und dem Ritz Carlton
zugrunde liegt.
Die Identifikation mit dem Unternehmen und die feste Verankerung von
Verantwortlichkeiten ist laut Pronovost der Schlüssel, um eine so herausfordernde Arbeit wie die von Menschen in der Medizin zu bewältigen. Er geht noch einen Schritt weiter:
„In den besten Kliniken“, sagte er in einem Stern-Interview, „ist es Teil des persönlichen Selbstverständnisses, sich die Sache der Patienten zu eigen zu machen.“
In Bezug auf die immer akuter werdende Bedrohung durch Krankenhauskeime fügt er hinzu: „Von Klinikleitungen müssen wir erwarten, dass sie ihren Teams die Ressourcen zur Verfügung
stellen, die sie brauchen.“
Das wäre in der Tat der Idealfall. In wenigen europäischen Ländern findet er tatsächlich statt. Deutschland zählt leider nicht dazu.
WARUM IST DAS SO? Inzwischen sind, je nach Region, 3/6 bis 6/6 aller Kliniken von Krankenhauskeimen betroffen.
Analysen zeigen: Ein Infektionsausbruch kann die Kosten bei einem einzigen Patienten in kürzester Zeit um das zwei- bis dreifache erhöhen und – auf der persönlichen Ebene – aus einer vergleichsweise
gut behandelbaren Krankheit eine tödliche Bedrohung machen.
Der Preis, den unser Gesundheitssystem nun für all die zuvor verordneten Einsparungen zahlt, grinst uns geradezu hämisch ins Gesicht.
Die allgegenwärtigen Krankenhauskeime haben gleich auf mehreren Ebenen ein Problem sichtbar gemacht, das die medizinische Versorgung schon länger überschattet. Nun entwickelt es eine
beängstigende Beschleunigung. Hygienemangel liegt an vorderster Stelle! Aber ebenso der planlose Umgang mit Antibiotika, den Ärzte in hohem Maße mit zu verantworten haben.
Wir reden im Moment über 900.000 Infektionen pro Jahr allein in Deutschland und über mindestens 30.000 Tote.
Wenn die Prognosen der WHO stimmen, werden sich die Zahlen innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte weiter dramatisch erhöhen. Die Keime werden unzählige Menschen das Leben kosten.
Nur ein Zyniker wird sagen, dass mehr Leute NICHT daran sterben.
Zusammenbruch von Kommunikation & Motivation
Wenn es je einen Kommunikationszusammenbruch gegeben hat, dann hier. Und diesmal ist der Patient das Krankenhaus selbst.
Wie schließt man eine solch verhängnisvolle Lücke?
Menschliche Kompetenz als Ressource mit allem Engagement zu erschließen: Das ist meine Antwort auf die Frage nach der Medizin der Zukunft. Sie ist DER Genesungsfaktor schlechthin. Sie ist DER Wirtschaftsfaktor, der Milliarden im Gesundheitswesen einzusparen hilft!
Er wird, neben aller Innovation der Technik, darüber entscheiden, in
welche Klinik Patient*innen in Zukunft gehen, wer die niedrigsten Infektionsraten hat, die wenigsten Krankschreibungen und die größte Mitarbeiter*innen- und Patient*innenzufriedenheit.
Carmine Gallo, der Steve Jobs Erfolgsgeheimnisse in Bestsellern aufschrieb, sagt: „Die einzige Frage, die Ihr Gegenüber wirklich ernsthaft interessiert, ist diese: ,Why should I care? Warum sollte mich das kümmern?‘ Und die muss in ihrer Kommunikation beantwortet sein.“
WILL SAGEN:
Nur wenn jemand sieht, dass etwas sie oder ihn ganz persönlich und unmittelbar betrifft; dass das, was Arzt, Therapeutin, Heiler, Erfinder, Forscherin anbieten, ihre oder seine Welt zu einem besseren
Ort macht, landet die Botschaft!
LITERATUR
DAS PROBLEM: Die Krankheit deutscher Krankenhäuser
http://www.stern.de/gesundheit/krankenhaus/gefahr-krankenhaus-insider-packen-aus-sokrank-
sind-unsere-krankenhaeuser-2175991.html
DIE WEISHEIT VON MR.SPOCK
http://blog.centerforinnovation.mayo.edu/discussion/we-need-both-logic-emotionalintelligence-
in-health-care/?linkId=12746841
SLOW MEDICINE
https://hcldr.wordpress.com/2014/11/02/slow-medicine/
TIME TO OPEN UP THE BLACK BOX OF MEDICINE – BMJ
http://blogs.bmj.com/bmj/2012/12/17/richard-smith-the-case-for-slow-medicine/
THE DOCTOR‘S TOUCH
http://www.ted.com/talks/abraham_verghese_a_doctor_s_touch?language=en
DOCTORS TELL IT ALL – AND IT‘S BAD
http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2014/11/doctors-tell-all-and-its-bad/380785/