Integrative Medizin

Wie lange habe ich noch, Herr Doktor?

Dr. Matthias Kreft, Hausarzt und Palliativmediziner in einer kleinen Stadt im Ammerland, beantwortet die nahezu immer gestellte Frage mit einer Gegenfrage: "Warum ist das wichtig? Was gibt es noch zu erledigen?"

Es ist genau dieser Schnittpunkt, an dem sich zeigt, ob ein guter Mediziner tatsächlich auch ein guter Arzt ist. Denn spätestens jetzt, in diesen Tagen vor dem Tod, kommt das ans Licht, "gegen das jedes Schmerzmittel machtlos ist", wie der Arzt aus Erfahrung weiß.

 

Es sind die Kinder, zu denen es seit Jahren keinen Kontakt gab und die der Sterbende nun so unbedingt sehen möchte… ohne zu wissen, ob sie dem Wunsch, wenn sie ihn überhaupt erfahren, auch nachkommen würden. Die Angst vor dem Tod und die Angst vor Zurückweisung ringen miteinander in einem inneren Kampf.

Die Brüder, zu denen der Kontakt abgerissen war: Sie könnten jetzt vielleicht doch helfen, eine Grabstelle zu finden.

Die Vergebung, die nie erlangt oder nie erteilt wurde.

Der Vater, der nicht weiß, wie er seine Kinder – 10, 8 und 3 – um Gottes Willen allein mit seiner Frau zurücklassen könnte.

 

NICHTS IST DEM ZUHÖREN VERGLEICHBAR

 

Ich werde sie am Nachmittag treffen, diese Mütter… kaum 30 oder 40 Jahre alt, mit einer schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert; verwaiste Kinder, die mit Ortrud Kreft, die mit ihrem Café Abraxas die Westersteder Kreativwerkstatt für Kinder und Jugendliche geründet hat, im Park mit Ton basteln; verwaiste Eltern oder Partner, die in eigens eingerichteten Trauergruppen im Café Abraxas aufgefangen werden. Mit Hilfe von Gesprächen und Kunsttherapie lernen sie, ihren Schmerz auszudrücken. Auch das ist Teil des einzigartigen Projektes in Westerstede.

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Allein in diesem Monat sind drei junge Väter tödlich verunglückt.

Es sind die Momente, in denen die einzige Medizin das Zuhören ist. Die Augenblicke, bevor Matthias Kreft nach Hause geht, sich dann dort ans Internet setzt und mit der Suche beginnt: nach der verlorenen Tochter, dem Sohn, der Schwester, dem Bruder.

Wenn er Erfolg hat, und den hat er oft, dann heilt diese Tat, diese Chance zur Versöhnung, diese Möglichkeit eines letzten Gespräches vielleicht mehr als es sogar jede Genesung von einer schweren Krankheit könnte.

"Wird etwas von mir bleiben?" fragen ihn Patienten oft. "Oder bin ich dann einfach verschwunden?" Für Matthias Kreft ist vollkommen klar, dass das leben in irgendeiner Form weitergeht. "Natürlich geht es weiter", sagt er dann, "sonst würde die Erde aufhören, sich zu drehen." Er verweist auf die Natur. "Mir ist immer der Gedanke der Erneuerung ganz gegenwärtig. Damit etwas Neues entstehen kann, muss etwas Altes gehen. Es gibt eine Fortsetzung. Und ich wünsche mir, dass ich meinen Patienten etwas davon vermitteln kann."

 

SICH SELBST ALS EINHEIT BEGREIFEN

 

Integrative Medizin bedeutet an dieser Schnittstelle zwischen Leben und Tod nicht die Suche nach einer passenden und lindernden sanften Medizin. "Die bietet sich aus meiner Sicht eher vorher an, wenn der Prozess noch nicht so weit fortgeschritten ist. Dazu sind die Schmerzen oft zu dringend, die Angst zu groß und die Suche meist zu zeitaufwändig." 

Integrative Medizin bedeutet hier vielmehr, die Zerrissenheit von Körper, Seele und Geist wieder zu einem Ganzen zu vereinen.

"Wenn ich mir etwas wünschen dürfte", sagt der Arzt, "dann, dass die Menschen begreifen würden, dass diese drei als Einheit fungieren und ohne einander nicht denkbar sind. Jedes von ihnen hat unmittelbare Auswirkungen auf die anderen beiden und es wäre gut, das frühzeitig zu verstehen und entsprechend zu leben – und auch zu handeln."

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