Prof. Dr. med. Peter Neuhaus

"Für die Leber", sagt Prof. Dr. Peter Neuhaus, "habe ich mich schon immer interessiert. Das fing schon in den Anatomiekursen an. Irgendwie waren Leber und Gallengänge immer undurchsichtig."

Er war gerade 29, als Neuhaus, der sich zu einem Top-Experten auf desem Gebiet entwickeln sollte, an der Uniklinik in Hannover unter der Leitung seines großen Vorbildes Prof. Rudolf Pichlmayr begann, sich auf das hochkomplizierte Organ zu spezialisieren.  

"Die Chirurgie war problematisch, das Risiko damals hoch. Viele Patienten sind nach der Operation gestorben. Außerdem konnten Lebertumore nur schwer diagnostiziert werden. Oft waren sie schon 10 bis 20 Zentimeter groß, bevor sie überhaupt entdeckt wurden."

20 Jahre später sollte die Leberchirurgie von Prof. Neuhaus an der Charité im Virchow zur Weltspitze zählen.

 

WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT

 

120 bis 130 Transplantationen pro Jahr: Damit liegt das Team zum Zeitpunkt unseres Interviews in Deutschland an der Spitze. In Tempelhof stehen Privatflieger für die Spezialisten bereit, die jederzeit starten können, um irgendwo in Europa ein Spenderorgan abzuholen oder auch zu entnehmen, und allerspätestens nach 24 Stunden – "ideal sind 12" – in Berlin wieder einzupflanzen.

Der Name Neuhaus steht in Deutschland für Innivation in der Chirurgie an der Grenze zwischen Leben und Tod. 

Mit Dr. Jörg Gerlach entwickelte er die künstliche Leber, die – mit Schweineleberzellen, einer Nährlösung und Sauerstoff – eine begrenzte Wartezeit überbrücken kann… bis ein Spenderorgan gefunden ist.

In Akutfällen beträgt die mittlere Wartezeit auf ein Spenderorgan etwa 24 Stunden. Bei Patienten, die bei chronischen Leberkrankheiten zur Transplantation angemeldet sind, manchmal ein Jahr.

Doch die Verfügbarkeit der benötigten Organe ist durch die Organspende-Skandale inzwischen massiv ins Wanken gekommen.

Der Spezialist forschte auch mit an einem Verfahren, bei dem nur ein Teil einer Leber, z. B. von der Mutter auf ihr Kind, übertragen werden kann. "Bei einem gesunden Organ können wir bis zur Hälfte entfernen." Denn das unvorstellbare Wunder dieses größten Entgiftungsorganes in unserem Körper ist, dass seine Zellen wieder nachwachsen.

Wodurch wird die Leber überhaupt krank? fragen wir den Professor. "Das kann verschiedene Ursachen haben", sagt er. "Hepatitis A, B oder C, bei der die Leber mit Viren infiziert wird und sich entzündet. Die Viren verändern die Erbsubstanz in der Zelle, die Teilung und Vermehrung. Dann entsteht ein bösartiger Tumor."

Giftige Substanzen können die Leber ebenfalls in Höchstgeschwindigkeit zerstören: Knollenblätterpilz, Schlafmittel oder auch die Droge Ecstasy. Dazu Stoffwechselerkrankungen oder auch eine Fehlbildung der Gallengänge, die zu chronischer Entzündung führt, und schließlich zur Leberzirrhose.

 

EINE SCHWIERIGE FRAGE DER ETHIK

 

"In 50 Prozent der Fälle spielt Alkohol eine maßgebliche Rolle. Alkoholismus ist ja auch eine Krankheit. Aber ob man einem Alkoholiker eine neue Leber einpflanzen sollte… darüber scheiden sich die Geister noch." Oft wissen die Patienten gar nicht, daß sie krank sind. "Sie können herumlaufen, bis sie plötzlich Ausfallerscheinungen haben, nicht mehr ordentlich essen und denken können."

4000 Operationen pro Jahr (Schwerpunkt: große Bauchchirurgie, Speiseröhre, Magen, Darm, Gallengänge, Bauchspeicheldrüse) bereiten das Transplantations-Team für den größten aller Eingriffe vor. "Man muß das ganze Spektrum beherrschen. Transplantation braucht die Erfahrung und den Hintergrund der allgemeinen Chirurgie. Der Operateur muß technisch und chirurgisch exzellent sein, bis hin zur Gefäßnaht." Denn genau das macht die Leberchirurgie so kompliziert: dass dieses Organ extrem stark durchblutet ist und von unendlichen Gefäßen durchzogen. "Vier große Gefäße und der Gallengang müssen angeschlossen werden. Und zwar so, daß die Leber innerhalb von 24 Stunden funktioniert. Das braucht dauerhaftes Training."

Viele Ärzte aus dem Neuhaus-Team sind inzwischen Chefs an anderen Kliniken, diverse haben sich die Qualifikation zum Hochschulprofessor erworben. "Sie gehen ein bis zwei Jahre in die USA, arbeiten dort wissenschaftlich. Wenn sie fit sind in der Leberchirurgie, sind sie auch fit für alles andere. Wir müssen extrem gut sein, es geht immer um den Patienten. Der steht im Vordergrund."  

2013 wurde Professor Neuhaus für seine hervorragenden Ergebnisse und seine innovativen Operatinsverfahren bei der Transplantation und bei der Behandlung von Lebermetatstasen mit einem der beiden wichtigsten Preise der Chirurgie ausgezeichnet: dem Rudolf-Zenker-Preis. 

 

 

Die Nachfolge von Prof. Neuhaus als Leiter der Klinik für Allgmein-, Visceral- und Transplantationschirurgie hat Prof. Dr. med. Johann Pratschke angetreten, ein international hoch geschätzter Experte und über viele Jahre Wegbegleiter von Prof. Neuhaus.  

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