Prof. Dr. med. Margit Fisch

Montagmorgen, acht Minuten nach acht.  Auf dem OP-Tisch liegt Felix, gerade vier Jahre alt, in tiefer Narkose. Die Harnröhre des Jungen ist fast zwei Zentimeter zu kurz, endet oberhalb der Eichel. Der Penis ist verkrümmt. Fast so etwas wie ein Totalschaden, angeboren.

Über ihn beugt sich Professor Dr. Margit Fisch. Sie ist  Chefärztin im Urologischen Zentrum Hamburg an der Asklepios Klinik Harburg, weltweit geschätzte, renommierte Kinderurologie-Spezialistin.

"Skalpell", sagt sie zur OP-Schwester. Der Eingriff kann beginnen. Damit die Chefin genau sieht, was sie da tut, trägt sie eine Vergrößerungsbrille, 2,3 fach.


Ich stehe neben der Professorin und ihrer Kollegin zwischen all den Geräten, die Atmung, Schlaftiefe, Puls, Herzfrequenz überwachen. Ich bin aufgeregt. Ich habe Operationen am offenen Herzen und an der Prostata erlebt, ich war live dabei, wenn Tumore aus dem Darm und aus der Brust entfernt wurden. Ich habe in geöffnete Schädel geschaut und eine Hüftamputation (als Zuschauer!) überstanden. Ich habe wirklich viel gesehen im OP ... aber noch nie einen solchen Knirps mit einem solchen Problem. Ich ertappe mich dabei, wie ich Felix heimlich von Mann zu Mann die Daumen drücke, für seine Gegenwart und seine Zukunft.

Prof. Dr. Margit Fisch - eine Frau als Urologin. Eine Frau in einer vermeintlichen Männerdomäne. Männer gehen zum Urologen – Frauen zum Frauenarzt. So sagt man zumindest. Oder?

Die Wahrheit ist: Natürlich gibt es ungleich mehr Urologen als Urologinnen. Und tatsächlich ist Prof. Dr. med. Margit Fisch wirklich die einzige Urologie-Chefärztin in Hamburg.

Aber die Wahrheit ist auch, dass Frauen mit Blasen- und Nierentumoren oder mit der allseits gefürchteten Inkontinenz (Blasenschwäche, mindestens 5 Millionen Frauen leiden darunter) in der Urologie bestens aufgehoben sind. Und dass Männer sehr wohl und sehr gern zu einer Urologin gehen. Die Spezialistin lacht herzhaft: „Ein älterer Patient sagte mal zur mir: Wissen Sie, Frau Doktor, ich komme in jedem Fall wieder zu Ihnen. Sie sind kompetent, und Ihr Finger ist nicht so dick wie der von meinem Urologen.“

 

EIN RIESIGES SPEKTRUM MIT VIELEN FACETTEN

 

Das Fachgebiet der Urologie ist so umfassend, so komplex, dass es in der amerikanischen Mayo-Klinik allein 16 verschiedene Abteilungen dafür gibt, für jeden Abschnitt eine: Nieren-, Blasen-, Prostata-, Hoden- und Penistumore; die urologischen Krankheitsbilder natürlich auch noch einmal unterteilt nach Männern und Frauen, weil die Problematik und die Anatomie so gänzlich unterschiedlich ist. Von den Kindern ganz zu schweigen, die u. a. mit Problemen kommen wie der kleine Felix, mit der gar nicht so seltenen Doppelniere, oder auch mit dem gefährlichen Wilms-Tumor (Nephroblastom).

 

Ein Störfall in dem gigantischen Filter- und Ausscheidungssystem unseres Körpers kann dazu führen, dass zum Beispiel innerhalb kürzester Zeit unser Blut vergiftet wird, das Herz nicht mehr richtig arbeiten kann oder das Kreislaufsystem kollabiert.

Die Expertin ist mit all dem vertraut, auch mit den grundsätzlich gutartigen Erkrankungen, die dennoch äußerst schmerzhaft werden können. Dazu zählen Nierensteine, die gutartige Prostatavergrößerung, an der jeder zweite Mann im mittleren Lebensalter leidet, oder etwas so scheinbar profanes wie eine Blasenentzündung, die ausreicht, einem das Leben zur Hölle zu machen.

"Aber", sagt sie, "die Kinderurologie fasziniert mich ganz besonders."

Das hat ihr so viel guten Ruf eingetragen, dass die OP-Termine bei Prof. Fisch für die kleinen Patienten deshalb weit im Voraus vergeben sind. Dieser Qualifikation verdankt sie es auch, dass sie sich für den (inzwischen einstigen) Chefposten in Harburg nicht bewerben musste, sondern geholt wurde –  abgeworben von der Uni in Mainz. 250 Kinder werden von ihr jährlich operiert.

 

Genauso viele Männer lassen ihren Prostatakrebs bei ihr behandeln – den Krebs, den Männer am meisten fürchten.

Ist die Diagnose gleichbedeutend mit einem Todesurteil? "Nein, nein", wehrt die Spezialistin ab, "wir haben viele Therapiemöglichkeiten. Sie reichen von der Strahlen- und Hormonbehandlung bis zur radikalen Operation. Aber", betont sie, "jeder Mann sollte spätestens ab 45 zur Krebsvorsorgeuntersuchung gehen. Je eher ein Tumor festgestellt wird, umso größer ist die Chance, dass wir ihn besiegen können."

Doppelt hart arbeiten

Chefärztin zu sein, ist das eigentlich ein besonderer Stolz? frage ich sie. Sie nickt. "Klar", sagt die Chirurgin, "schließlich habe ich dafür in der Vergangenheit auf vieles verzichtet und auch manches geschluckt."

Was beispielsweise? "Also, ich habe keine Kinder... und...", sie zögert, dann sagt sie’s doch, "der Umgang mit den männlichen Kollegen war nicht immer ganz leicht. Es war nicht nur einer, der gemeutert hat: Wir brauchen keine Frau im OP."

Wer hilft in solchen Situationen? Die Professorin: „Ganz wichtig ist, dass man selbst weiß, was man kann. Letztendlich bekommt man – unabhängig vom Geschlecht – den Respekt der Mannschaft nur über die Leistung. Bei mir war es obendrein immer das gesamte Pflegepersonal, das wie ein Mann hinter mir stand, wenn wieder mal ein Herr Kollege giftig wurde..."

 
Der Konkurrenznkampf ist längst der Bewunderung gewichen. Wenn sie Kinder operiert,  werden die  TV-Bilder bisweilen direkt in ein Hotel übertragen. Dort saßen schon 300 internationale Urologen, beobachteten auf riesigen Leinwänden jeden Handgriff – und wenn sie Fragen hatten, antwortete die operierende Chirurgin antwortete live.


Zurück zu Felix. Kurz nach zehn wurde er aus dem OP geschoben. Mit einem Stückchen seiner eigenen Mundschleimhaut hat die Chefärztin die Harnröhre verlängert. Nachmittags, behütet von Mutter und Schwestern, war er schon wieder munter und verputzte eine Portion Wackelpudding. 

Gott sei Dank.

 

2008 wurde Prof. Dr. med. Margit Fisch als Leiterin an die urologische Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) berufen.

 

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