Es gibt diesen Moment des Atem-Anhaltens, bevor wir eintreten: Was wartet hinter dieser letzten Tür, wo das Leben der Patienten, die in diesem Haus umsorgt werden, zu Ende geht? Wer arbeitet dort, im Ammerland-Hospiz? Und warum?
"Die jungen Helfer", sagt Dr. Matthias Kreft, "bleiben meist 5 bis 6 Monate. Die älteren, überwiegend Frauen, 5 bis 6 Jahre." Dann ziehen sie weiter, versehen mit einer Erfahrung, die mit nichts zu vergleichen ist… einer Erfahrung, wie nur die Geburt und der Tod sie bescheren.
IN EINEM ANDEREN LAND
Es gibt in meiner Wahrnehmung als Journalistin zwei Arten von Menschen, denen man nur schwer etwas vormachen kann: Die einen sind die Hebammen am Eingang des Lebens. Die anderen sind die Hospizpflegerinnen und -pfleger am Ausgang des Lebens. Da ist nichts, was sie nicht schon gesehen, erlebt, gespürt, begleitet, gelindert, erleichtert hätten. An diesem Tag, in diesem Hospiz gleich neben der Ammerland-Klinik, laufen die Fäden zusammen.
"Eigentlich", sagt Dr. Matthias Kreft, der hier im Wechsel mit seinem Praxispartner Dr. med. Markus Härter nahezu täglich ein und aus geht, "müsste man Geburts- und Palliativstationen zusammenlegen. An dieser Stelle wird das Leben sehr, sehr real." Als Hausarzt hat er beides in fast vier Jahrzehnten oft genug erlebt.
Er hat den Palliativ-Experten Dr. Härter für die Hausarztpraxis abgeworben, um das ambulante Palliativ-Netz noch dichter zu knüpfen – für die Patienten, die sich wünschen, zu Hause zu sterben. "Wir haben ein fantastisch vernetztes Team", sagt Kreft. "Vielleicht ist unser Modell sogar einzigartig auf der Welt." Auf jeden Fall gewann es gerade im September 2014 den Sonderpreis innovativer Versorgungslösungen.
Der Prozess des Werdens und Vergehens wird von jedem Menschen auf seine eigene, einzigartige Weise erlebt.
Es ist ein Weg, der wie eine Geburt nicht immer leicht und manchmal auch sehr schwer ist: wenn kleine Kinder zurückbleiben, wenn Konflikte nicht mehr gelöst werden können, wenn das Sterben plötzlich ganz schnell geht. "Manchmal bleibt uns nicht einmal ein Tag Zeit, um den sterbenden Menschen kennenzulernen."
In diesem letzten Zuhause werden Patienten zu Gästen, denen – wo immer möglich – jeder Wunsch erfüllt wird. Die meisten kommen ins Hospiz, weil sie keine Familie haben, die sie umsorgen könnte; weil sie eine ganz spezielle Fürsorge brauchen. Egal, ob sie dort sind, auf der Palliativstation der Ammerland-Klinik oder zu Hause: Es ist das gleiche vernetzte Palliativ-Team, das sie in Kooperation mit ihrem ganz persönlichen und vertrauten Hausarzt auf ihrem letzten Weg begleitet. Niemand fällt durchs Raster. Keiner wird allein zurückgelassen, wenn er unter den Fittichen des Palliativ-Stützpunkts angekommen ist.
UNTERSCHIEDLICHE MOTIVE
Warum arbeiten Sie hier? frage ich das Ammerland-Hospiz-Team.
"Nach den paar Monaten, die ich jetzt hier bin, habe ich nach dem Zitat von Cicely Saunders für mich eines als Motivation entdeckt", sagt Maik (Foto unten). "Dass es nicht darum geht, 'das Leben mit Jahren zu füllen, sondern die Jahre mit Leben' … um dadurch den Gästen unseres Hauses ein behütetes und würdevolles Sterben zu ermöglichen."
Für Kea Freymuth, stellvertretende Leiterin des Ammerland-Hospizes, geht es darum, "Sterben und Tod aus der Tabuzone in der Gesellschaft zu holen und den uns anvertrauten Menschen ein guter Wegbegleiter auf ihrem letzten Lebensweg zu sein. Und darum, den Angehörigen Hilfe in der Trauer zu geben und Trost zu spenden."
Erika stellt sich dem, was auf uns alle eines Tage zukommt: "Meine Motivation zur Hospizarbeit nehme ich aus dem Bedürfnis,
mich auf indirektem Weg mit meiner eigenen Vergänglichkeit auseinander zusetzen. Ich möchte ein achtsamer Wegbegleiter derer sein, die mir Vorausgehen – und auch für deren Angehörige."
Beate wiederum berührt die Dankbarkeit der sterbenden Menschen und ihrer Familien zutiefst: "Jeder Tag, jeder Dienst ist anders", sagt sie, "und wir können Wünsche ermöglichen!"
Bianca hat selbst als Angehörige gute Erfahrungen mit dem Hospiz gemacht und
will dies weitergeben. "Hier kann man Menschen in ruhiger Umgebung im Sterbeprozess begleiten – ohne Klinikhektik."
Maria hat die Hoffnung, in der Pflege eine Oase zu finden: "… dass der Umgang mit dem mir anvertrauten Menschen den Rahmen findet, wo Zeit für Zuwendung und Menschlichkeit ist; und wo Kollegen die
selbe Einstellung zu ihrer Arbeit haben wie ich." Auch für Annelie ist es wichtig, mehr auf die Bedürfnisse der Sterbenden und ihrer Angehörigen einzugehen. "Gespräche gehören hier zur
Arbeitszeit dazu. Der Mensch wird ganzheitlich gesehen, mit Körper und Seele, sowie auch in seiner Geschichte."
Die Visite bginnt. Auf dem Flur steht eine Kerze vor einer Zimmertür. Dr. Kreft klopft an, obwohl er weiß, dass keine Antwort mehr kommen wird. So wie er sich immer einen Stuhl ans Bett zieht, um mit jedem Patienten auf Augenhöhe reden zu können.
Im Zimmer brennt sanftes Licht. Auf der Bettdecke um die gefalteten Hände des Patienten, der erst gestern angekommen war. liegen dunkelrote Rosenblätter.