Stellen Sie sich vor, Sie sind mit jemandem verheiratet, der Maschinenbau studiert hat und Sie erzählen ihm abends aus Ihrer Praxis für Medizin und Naturheilkunde: "Frau X hatte Rückenschmerzen und niemand findet die Ursache. Herrn Y tut das Knie weh und wahrscheinlich braucht er ein neues..." Und Ihr Partner hört zu, runzelt die Stirn, schüttelt den Kopf, läuft ungeduldig auf und ab, wedelt Ihre Annahmen und Theorien vom Tisch.
"Wir haben uns gefetzt bis spät in die Nacht. Roland hat einfach alles infrage gestellt und ich dachte die ganze Zeit: 'Ich bin doch hier die Ärztin! Ich hab das studiert! Ich weiß es besser...' ", sagt Dr. Petra Bracht.
Roland Liebscher-Bracht hingegen blieb dabei: "Das kann so nicht sein, Petra. Da stimmt was nicht. Es muss eine andere Ursache geben als Verschleiß und Arthrose. Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn."
Es dauerte eine Weile, bis die Medizinerin ihre inneren Widerstände zum Schweigen bringen konnte und begann, ihm wirklich zuzuhören.
"Je genauer ich hinhörte, umso klarer wurde: Unser herkömmliches Schmerzverständnis ergibt tatsächlich so keinen Sinn. Woher kamen all die Schmerzen? Wieso hatten junge Leute mit 25 schwere Arthrose und brauchten eine künstliche Hüfte und 85-jährige hatten keinerlei Probleme?" Ja, warum?
Als das Paar 2013 bei Stern TV erschien und seine Theorie erklärte, brachen dort erstmalig die Leitungen zusammen. Unzählige Patienten mit Schmerzen, die durch nichts nachhaltig gebessert werden konnten, suchten Hilfe. Und diese Theorie, inzwischen hunderttausenfach praktisch erprobt, geht so:
Roland Liebscher-Bracht betrachtet einfach alles und jedes durch die Brille von Hebelwirkung, Rotation und Kraftübertragung. Mir kommen unwillkürlich die anatomischen Zeichnungen Leonardo da Vincis in den Sinn, die er im 15. Jahrhundert anfertigte; und dessen geniale Maschinen, die niemand begriff... außer ihm selbst. Erst Jahrhunderte später sollte sich das, was er vor seinem inneren Auge sah, bewahrheiten.
Durch sein Studium zum Ingenieur kennt Roland Liebscher-Bracht die Gesetzmäßigkeiten von Maschinen in- und auswendig. Doch Ingenieurwesen und Maschinenbau war nur einer der Meilensteine auf dem Weg zu dem, was sich zu einer einzigartigen Schmerztherapie in Deutschland entwickeln sollte. Denn als er nach lauter Einsern endlich seine Diplomarbeit fertig hatte, schmiss er kurzerhand sein Studium –während eines Praktikums. "Ich sollte Maschinen entwickeln, die Arbeitsabläufe so optimieren, dass man die Mitarbeiter nicht mehr brauchte und entsorgen konnte." Er sieht heute noch empört aus, wenn er dran denkt.
PHASE 2 GEZÜNDET
Stattdessen setzte er nun das fort, was er parallel begonnen hatte: die Erweiterung seiner asiatische Kampfkunstkenntnisse, ein Begleiter seit Kindertagen. Schon zu Beginn seines Studiums hatten ihn Taekwon-Do und Kickboxen fasziniert. Nun bot sich auf einmal die Gelegenheit, sich in Heidelberg von einem Großmeister in der Technik ausbilden zu lassen, die durch Bruce Lee weltberühmt geworden ist: WingTsun.
"Das ist ein weicher chinesischer Stil, der sehr viel mit exakter Ansteuerung zu tun hat; damit, die Kraft des Gegners aufzunehmen, mit Elastizität und damit, die Körpermechanik zu nutzen." Weich ist daran vor allem die Bewegung. Ansonsten ist er auch schnell tödlich, wenn man die richtigen Punkte trifft.
Dies war der zweite wesentliche Baustein, um die Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Bewegungsapparartes im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Der dritte war Petra Bracht, eine junge, frisch gebackene Ärztin. Er traf sie 1983 in einer Disco. Und wie sich zeigen sollte, verband die beiden ein gemeinsames Schicksal. Drei Monate nach ihrem ersten Treffen heirateten sie.
Schon bald nach dem Beginn seiner Kampfkunstausbildung 1984 behandelte Roland Liebscher-Bracht Kämpfer im Dojo, die sich bei bestimmten Bewegungen verletzt hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt half ihm lediglich sein Verständnis von Kraftübertragung und selbst erfahrenen Bewegungsabläufen, zu richten, was zu richten war. Ärzte warnten sie: "Alles ... nur kein Sport." Doch es stellte sich heraus, dass es gerade dieser Sport war, in Kombination mit den schmerzlindernden Griffen von Roland Liebscher-Bracht, die sie schnell wieder auf die Füße brachten. "Da dämmerte mir zum ersten Mal, wie sich die Muskeln und Sehnen tatsächlich zueinander verhalten könnten."
Roland Liebscher-Bracht gründetet 1985 seine erste Schule für WingTsun, machte ein erfolgreiches Frenchisesystem mit insgesamt 30 Schulen daraus. Es dauerte nicht lange, und er rief innerhalb der Schulen Gesundheitsklassen ins Leben. "Ich habe mich immer mehr auf Bewegungsabläufe fokussiert, die mit bestimmten Schmerzen zu tun hatten. Und daraus wiederum resultierte ein bestimmtes biomechanisches Verständnis." Viele seiner WingTsun-Schüler waren Therapeuten, arbeiteten mit Triggerpunkten, Massagen, Akupunktur: "Dadurch habe ich verstanden: Aha, man kann Muskeln also auch passiv bewegen, durch Manualtherapie." Sein Hunger nach Wissen war unersättlich: "Ich hab bestimmt 1000 Bücher darüber gelesen, 1/3 Kampfkunst, 1/3 energetische Systeme und 1/3 Biomechanik und therapeutische Methoden."
Schaute man von 1983 aus nach vorn und sieht all diese wild durcheinander wirbelnden Bausteine, scheint nichts zusammen zu passen: Maschinenbau, WingTsun, Frenchise, Gesundheitsklassen. Schaut man zurück, ergibt alles perfekten Sinn. "Nur in der Rückschau", sagte Steve Jobs, nachdem er sein Studium hinschmiss, Kalligrafie-Unterricht nahm und anfing, in Garagen Computer zu bauen, "kann man die Punkte miteinander verbinden."
SPORT TREIBEN STATT SPORT DENKEN
Es ist etwas anderes, ob man am eigenen Leib jeden Tag stundenlang die Anspannung und Entspannung in den Muskeln bewusst erlebt und auch die Schmerzen, die falsche Bewegungen auslösen können – oder ob man nur darüber philosophiert. "Ich habe alles Mögliche ausprobiert an Manualtherapien, wenn Schüler kamen und Hilfe wollten bei Verletzungen, aber das war alles nicht wirklich befriedigend." Was Liebscher-Bracht fehlte, war die Systematik. "Im Maschinenbau denkt man Abläufe von vorn bis hinten durch, von Anfang bis Ende. Man schaut als erstes nach der Ursache eines Problems. So, wie viele Therapeuten das betreiben – mit irgendwas anzufangen, um Schmerzen zu lindern… so ergab das alles für mich überhaupt keinen Sinn."
"Das alles" ist das, womit Millionen Menschen in Deutschland zu kämpfen haben: Schmerzen im Rücken, Hexenschuss, Bandscheinvorfall. Schmerzen in Hüfte, Knie, Händen und Füßen. Migräne, Tennisarm, Karpaltunnelsyndrom, Fibromyalgie. 80 bis 90 % der Rückenschmerzen hatten keine schlüssige Diagnose. 90 % der Experten folgten der Verschleißtheorie, einfach nur, weil es keine bessere gibt. Daran hat sich seit den 80er Jahren nicht viel geändert.
Der Schmerzexperte hatte über 1000 WingTsun-Schüler zu diesem Zeitpunkt. Wann immer sie ein Problem in der Bewegung hatten, kamen sie zu ihm, damit er mal kurz die Schmerzen wegmachte.
"Nach und nach wurde mir klar, dass die Lösung nicht im Bereich der Muskeln lag, sondern im Bereich der Sehnen und da wiederum dort, wo sie angewachsen sind, nämlich am Knochen. Ich fing an zu verstehen, dass man die Schmerzbehandlung mithilfe bestimmter Punkte systematisieren konnte." Er setzte Bewegungen und deren Einschränkung in Beziehung zu bestimmten Druckpunkten am Knochen (Osteopressur), die die Blockade, ausgelöst durch verkürzte Muskeln und Faszien, wieder lösten. Und die letztendliche Erkenntnis, dass jedes Trauma, sei es seelischer oder körperlicher Natur, einen Energieabdruck sowohl im Gehirn als auch in den Faszien hinterlässt und dass die beiden in einem unmittelbaren Austausch miteinander stehen, gab ihm schließlich den Rest. Diese Interaktion half ihm, zu verstehen, was eigentlich vor sich ging, wenn das Gehirn das auf die Reise schickte, was in der Liebscher-Bracht-Therapie AlarmSchmerz genannt wird. Dass er nicht Ausdruck einer Schädigung ist, sondern vielmehr vor der Möglichkeit einer Schädigung warnt. Es ergab auf einmal Sinn, dass man auf zigtausenden von Röntgenaufnahmen die Ursache der Schmerzen nicht erkennen kann: "Denn verkürzte Muskeln und Faszien (Foto unten, weiß) lassen sich auf den bildgebenden Verfahren nicht darstellen." Doch genau sie sind die Übeltäter in einem Schmerzgeschehen, für das Millionen von Pillen verschlungen und ungezählte Operationen ohne Erleichterungseffekt durchgeführt werden.
DIE SCHWACHSTELLE ERKENNEN
Kann Roland Liebscher-Bracht sehen, wo bei einem Menschen in seinem Aufbau die Schwachstelle ist? "Ja", nickt Roland Liebscher-Bracht. "Ich hab so einen Kraftübertragungsblick für den Körper. Ich seh, wenn ich zum Beispiel in Thailand bin, auch bei jedem Haus, wo die Schwachstelle in der Statik ist. Ich habe über Jahrzehnte erlebt und selbst gefühlt, welche Bewegung welchen Effekt hat. Das kann man nicht theoretisch entwickeln, das lässt sich nicht erschließen mit winzigem Hingucken. Ich hab einfach nur den Körper gelesen, die Konstruktion verstanden, Schlüsse gezogen und sie therapeutisch interpretiert."
Nach knapp 30 Jahren praktischer Erfahrung sieht er den Schwachpunkt moderner Schmerztherapie darin, dass zwischen Dingen eine Kausalität hergestellt wird, wo in Wirklichkeit keine ist: "Ah, Bandscheibenvorfall und Schmerzen, eines kommt vom anderen. Aber in den allermeisten Fällen ist das ein paralleles Geschehen, nicht Ursache und Wirkung. Denn wenn wirklich der Bandscheibenvorfall die Ursache wäre, wieso gehen dann unter der LNB-Therapie die Schmerzen weg?" Das gleiche gilt für die abscheulichen Schmerzen bei Kalkschulter, gilt für Migräne, gilt für Fibromyalgie. "Was wäre, wenn die Schmerzen so lange da wären, weil sie so lange falsch behandelt wurden? Wenn einfach die Ursache nicht beseitigt wäre?" Ja, was wäre dann?
Dann wäre Schmerzfreiheit möglich, wenn sie endlich richtig behandelt würden! Und genau das passiert auch, unfassbar für unser medizinisches Verständnis, nicht vereinbar mit allen Theorien über das Schmerzgedächtnis. Und dennoch sehr real.
90 % der LNB-Patienten, die mit massiven, oft jahrelangen Problemen kommen, gehen schmerzfrei oder erheblich schmerzärmer nach Hause. "Alt, jung, groß, klein, dünn, dick, Mann, Frau: Die Gesetzmäßigkeiten der Punkte sind immer die gleichen; ebenso die Engpässe, die durch verkürzte und verklebte Faszien entstehen."
Was ebenfalls gleich ist, ist die Notwendigkeit, diese Engpässe, wenn sie erst einmal durch die Techniken der LNB-Therapie gelöst sind, regelmäßig zu dehnen. Nur so bleiben Muskeln und Faszien. Sie brauchen spezielle Übungen, um sich nicht wieder verkürzen, wieder auf die kleinen und großen Gelenke drücken und wieder zu Schmerzen führen. "Wir haben nichts neu erfunden, weder eine neue Bewegungslehre noch eine neue Schmerzlehre", sagt Roland Liebscher-Bracht. "Alles war schon da, von der Natur erdacht. Wir haben nur geschaut, was funktioniert und das systematisiert. Denn der Mensch, wenn er sich gesund ernährt und seine Bewegungsmöglichkeiten voll ausschöpft, ist ein gesundes, vollkommenes Wesen. Und wenn Ernährungs- und Bewegungsstraßen blockiert sind, dann geht halt nichts durch."
1600 Professoren, Ärzte, Physiotherapeuten, Heilpraktiker und Osteopathen haben sie im deutschsprachigen Raum inzwischen in ihr Repertoire mit aufgenommen. Und das ist erst der Anfang.